Oft merken wir gar nicht, wie der innere Kritiker * unseren Alltag bestimmt und behindert. Was ist das? Woher kommt das, wie hat sich das etabliert, wie finde ich einen liebevollen Umgang mit mir? Lerne, wie dein Selbstwertgefühl gestärkt wird.
Die innere Stimme
«Das kann ich nicht!» – «Dazu bin ich nicht genug ausgebildet.» – «Ich bin so verhühnert.» – «Nein, wie dumm von mir!» – «Ich hab’s ja gewusst: das klappt nie!» – «Ich bin ein solcher Tolpatsch.» – «Ich bin zu dick.» … Das sind typische Sätze deines inneren Kritikers.
Hörst du dir manchmal zu, welche Botschaften du jeden Tag über dich denkst oder aussprichst? Viel zu selten anerkennen wir positiv unsere Handlungen und unser Sein. Unsere Ansprüche an uns selbst sind unrealistisch hoch. Das führt zu einer Selbstkritik, die sich auch negativ auf unser Selbstwertgefühl auswirken kann. Und umgekehrt mit wenig Selbstvertrauen erfahren wir die innere Kritikerin häufiger und kritischer.
Woher kommen die strengen inneren Stimmen?
In der Regel haben wir solche Sätze und Haltungen uns gegenüber aus der Kindheit verinnerlicht. Was wir in der frühen Kindheit von unseren Eltern und Betreuungspersonen gehört haben als Kommentare, wenn etwas nicht geklappt hat, wenn wir zu laut, zu aufmüpfig, zu lästig, zu ungeschickt, zu langsam, zu begriffsstutzig waren, haben wir in unser Glaubenssystem aufgenommen und sind uns oft nicht bewusst, wie diese inneren Glaubenssätze unser Leben prägen und begleiten.
Zudem kennen wir sehr schnell die Werte unserer Eltern und probieren diese zu erfüllen. Stell dir ein etwas pummeliges Mädchen vor, das in einer richtig sportlichen Familie gross wird, ein introvertierter Junge, der lieber liest, als auf Bäume klettert, ein ADHS Kind, das immer zu laut ist, das nie pünktlich ist in einer ruhigen strukturierten Akademikerfamilie. Da wir als Kinder immer auch auf die Anerkennung durch unsere Eltern und Begleitpersonen aus sind, versuchen wir ihre Wünsche zu erfüllen. Wenn ein Kind im Wesen quer zu den Werten der Eltern steht, dann wird es sich öfters unpassend fühlen und sich mehr anstrengen müssen, um dazuzugehören.
Das Nervensystem vergisst nicht
Fast immer hören dann die Kinder abwertende und bewertende Kommentare zu einem Verhalten, das offensichtlich nicht erwünscht ist. Kinder, die noch keine Möglichkeit haben, sich zu reflektieren, verinnerlichen diese Stimmen im Kopf und machen daraus: „Ich bin unfähig. Ich bin dumm. Ich bin laut und unerwünscht.“ Und schliesslich: „So wie ich bin, bin ich nicht liebenswert.“ Wenn dies oft geschieht, kann ein Kind nicht denselben Selbstwert aufbauen und im Gehirn bilden sich ganze Nervenautobahnen aus, die dann in ähnlichen Situationen gleiche negative Emotionen und Gedanken auslösen.
Diese verinnerlichten Glaubenssätze über sich selbst, graben sich tief ins Gehirn ein und werden vom Nervensystem autonom abgerufen in vergleichbaren Situationen. Also quasi ohne unser bewusstes Zutun entwickeln wir im Erwachsenenalter den inneren Kritiker besonders stark, je öfters wir kritisiert wurden und denken dann wie es Eltern und Betreuungspersonen damals gemacht haben.
Dann kritisieren wir uns auf dieselbe Art, wie (meist) Eltern es getan haben.
Geschlechtsspezifische innere Kritiker
Da Mädchen eine andere Sozialisation gehabt haben, entwickeln sie auch andere negativen Gedanken über sich selbst. Forsches Auftreten nach Aussen, lautes und bestimmtes Reden, offenes Konkurrenzieren werden nicht positiv konnotiert. Stattdessen plagen uns Zweifel nicht gut genug, nicht schön genug, nicht schlank genug, nicht redegewandt genug zu sein. Jungen sind nicht zu forsch, (selten) zu aggressiv, zu wagemutig. Was bei den Jungen durchwegs positiv bewertet wird, wird den Mädchen abgesprochen.
Nutzen des inneren Kritikers
Paradoxerweise haben uns diese Bewertungen auch geschützt als Kinder. Wenn du oft gehört hast, wie ungeschickt du bist, dann gibt dir das auch eine Identität. Als Tolpatsch ärgern sich deine Eltern nicht so sehr: «Ja unsere Marie ist halt so.» Diese Zuweisung schützt dich auf eine verquere Art vor den Folgen des Missgeschicks wie Missmut, Ärger, Schimpfen. Jedes Mal, wenn du ein Glas Wasser umschubst, beginnst du ebenso zu denken: „Als Tolpatsch passieren einem eben solche Sachen.“ Damit vermeiden wir ein gewisses Mass an Schmerz über diese Zurechtweisung.
Ich erlebe dieses negative Kritisieren in der Therapie als ein äusserst hartnäckiges und tiefsitzendes Muster, das viel liebevolles Begleiten bedarf, weil der erwachsene Mensch eine andere Deutung seiner Selbst einfach nicht glaubt. Aus tiefstem Herzen an das alte Muster gebunden ist und es sogar bedrohlich erscheint, dies aufzugeben.
Umgang mit der inneren Kritikerin
Ein erster Schritt: Zuhören
Beginne deinen negativen Gedanken und dem eigenen Inneren zuzuhören. Kannst du es merken, wenn du wieder einmal denkst: «Oahh, ich bin so doof.» Das nennt man in der Psychologie einen inneren Beobachter* zu installieren. Du lernst deine Gedanken wahrzunehmen und diesen Aussagen mal zuzuhören. Es ist wichtig, dass du diese innere Schwarzmalerei bemerkst, weil es ja so automatisiert passiert. Erst so bremst du die Kritikerin .
Ein zweiter Schritt: Reflexion, Beobachtung und Stopp
Das Beobachten braucht Geduld und Zeit. Du kannst eine Freundin, Partner * bitten, dich darauf aufmerksam zu machen. Du kannst dir mehrmals am Tag ein paar Minuten Zeit nehmen und reflektieren. Um das Selbstwertgefühl zu stärken darfst du den negativen Gefühlen ein Stopp entgegensetzen, weil die Gedanken sofort wieder zu dieser negativen Stimme gehen.
Ein dritter Schritt: Liebevolles sich selbst Begleiten.
Wenn du gelernt hast dir zuzuhören, tappst du manchmal schon in die nächste Falle. Du kritisierst dich jetzt, dass du deine negativen Gedanken hörst und willst sie zum Schweigen bringen. So im Sinne: Das habe ich doch jetzt erkannt. Jetzt muss ich das in den Griff kriegen und abstellen. Deshalb: Liebevoll zuhören ist hier die Herausforderung, um dir stets in einem liebevollen Ton sagen zu können: „Ja, ja – da seid ihr wieder meine negativen Selbstgespräche.“
Du bist nicht deine Gedanken
Wenn dir das hin und wieder gelingt, beginnst du zu merken: Ich denke einen Gedanken und da ist noch jemand, die das beobachtet. Das heisst: Du bist nicht deine Gedanken. So lernst du zu unterscheiden: Ich bin nicht einfach, was ich denke. Lernst mit der Zeit so über dich zu sprechen, zu denken wie zu einer lieben Freundin: Liebevoll, unterstützend, tolerant und grosszügig. Glaub mir, es lohnt sich.
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